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Dr. Marius <br>Kuschka

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Dr. Marius
Kuschka

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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Internationaler Handel und Corona – Höhere Gewalt

 

Das Corona-Virus hat die internationalen Lieferketten unterbrochen. Bestehende Lieferverträge werden nicht mehr erfüllt. Verantwortlich dafür sind Werksschließungen, behördliche Quarantäneanordnungen, Ausfall von Mitarbeitern durch Krankheit, Grenzschließungen. Lieferanten und Abnehmer haben schwierige Rechtsfragen zu beurteilen, wenn es im Zusammenhang mit Lieferverzögerungen und Lieferausfällen zum Streit kommt.

Vertragsauslegung – „Höhere Gewalt“-Klausel

Die gegenseitigen Rechte und Pflichten im Bereich internationaler Lieferverträge ergeben sich zunächst aus dem Vertrag. In vielen schriftlichen Verträgen findet sich eine „Force-Majeure-Klausel“, die das Auftreten höherer Gewalt regelt. Typischerweise ergibt sich aus der Force-Majeure-Klausel, dass die Vertragspartner von ihrer Leistungspflicht frei werden, wenn ein Fall höherer Gewalt (Force Majeure) vorliegt. Dieser Fall wird meistens durch beispielhafte Aufzählungen näher beschrieben. Das entspricht anglo-amerikanischer Vertragstechnik. Wenn der Fall „Epidemie“ in der Force Majeure-Klausel genannt ist, sollte die Force Majeure-Klausel anwendbar sein und den Vertragspartnern eine interessengerechte Lösung bieten. In Anbetracht der weltweiten Auswirkungen der Corona-Pandemie kann kein ernsthafter Zweifel mehr daran bestehen, dass hier eine „Epidemie“ im Sinne einer typischen Force-Majeure-Klausel gegeben ist.

Bestimmung des anwendbaren Rechts

Der weit überwiegende Teil der Lieferverträge im internationalen Warenverkehr ist wohl kurz und knapp, von Kaufleuten abgeschlossen und enthält keine anwendbare Force-Majeure-Klausel. Dann stellt sich die Frage, welches Recht auf den Vertrag anwendbar ist. Aus diesem Recht ist zu entnehmen, welche Folgen die Nichtlieferung hat. Wenn der Vertrag eine Rechtswahlklausel enthält, ist das anwendbare Recht im Vertrag bestimmt. Wenn der Vertrag keine Rechtswahlklausel enthält, findet in Lieferverträgen das Recht des Vertragspartners Anwendung, der die vertragstypische Leistung erbracht hat. In internationalen Lieferverträgen ist dies typischerweise der Verkäufer, sodass das Recht gilt, das am Hauptniederlassungsort des Verkäufers gilt.

Höhere Gewalt im UN-Kaufrecht

Wenn der Verkäufer seinen Sitz in einem der Unterzeichnerstaaten des UN-Kaufrechts (Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den Internationalen Warenkauf; CISG) hat und der Vertrag keine Rechtswahlklausel enthält, kommt das UN-Kaufrecht zur Anwendung. Ohne ausdrückliche Rechtswahl im Vertrag ist das UN-Kaufrecht anwendbar im Handel mit den 20 wichtigsten Handelspartnern Deutschlands mit Ausnahme von Großbritannien. Es gilt ebenfalls, wenn der Verkäufer seinen Hauptsitz in Deutschland hat und der Liefervertrag keine Rechtswahlklausel hat oder deutsches Recht vereinbart wurde.

Nach Art. 79 CISG hat eine Partei für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund in Betracht zu ziehen, zu vermeiden oder zu überwinden. Art. 79 Abs. 2 CISG trifft eine Regelung für den Fall, dass ein Vorlieferant nicht liefern kann. Art. 79 CISG gilt dann, wenn der Vertrag nicht erfüllt werden konnte, weil Hinderungsgründe außerhalb des Einflussbereiches des Schuldners, die unvorhersehbar waren und für den Schuldner unvermeidbar waren, dazu führten, dass die Lieferung nicht oder nicht rechtzeitig durchgeführt werden kann. Die bekannten Fallgruppen entsprechend der „höheren Gewalt“ wie Naturkatastrophen oder Epidemien. Auch Embargos sowie Aus- und Einfuhrbeschränkungen fallen unter den Tatbestand des Art. 79 CISG. Auf vorübergehende Leistungshindernisse – also zum Beispiel vorübergehende Grenzschließungen – ist Art. 79 CISG ebenfalls anwendbar.

Rechtsfolge nach UN-Kaufrecht

Art. 79 CISG befreit den Schuldner bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen von einer Schadensersatzhaftung. Unklar ist, ob Art. 79 CISG dazu führt, dass der Lieferant ganz von seiner Lieferverpflichtung frei wird: Nach seinem Wortlaut lässt Art. 79 CISG die Lieferverpflichtung nicht untergehen, sondern schützt den Lieferanten nur vor Schadensersatz des Abnehmers. Man könnte argumentieren, dass der Grundsatz des Art. 79 CISG analog auf die Lieferverpflichtung des Lieferanten anwendbar ist. Sicher ist dies aber nicht.

Rat an den Lieferanten

Alle Regelungen im Bereich des internationalen Vertragsrechts, seien es vertragliche Klauseln, UN-Kaufrecht oder nationale Rechtsordnungen, sehen vor, dass der Lieferant seinen Abnehmer zunächst davon in Kenntnis setzt, dass er sich aufgrund höherer Gewalt nicht in der Lage sieht, seine Lieferverpflichtung pünktlich oder überhaupt zu erfüllen. Diese Anzeige mit ausdrücklichem Verweis auf das Vorliegen höherer Gewalt sollte jeder Lieferant abgeben, sobald er erkennt, dass er wegen der Corona-Pandemie nicht liefern kann. Der CCPIT (China Council for the Promotion of International Trade) stellt aktuell sogenannte Force-Majeure-Zertifikate aus, die als Nachweis gegenüber Vertragspartnern oder Gerichten dienen sollen. Dieses Zertifikat ist bei Lieferungen, die ihren Ursprung in China haben, in jedem Falle zu Beweiszwecken nützlich und sollte vom Lieferanten angefordert werden.

Der Lieferant sollte nach einer solchen Anzeige genau prüfen, ob ein zeitlich begrenztes Leistungshindernis vorliegt oder ob die Leistung wegen der Corona-Pandemie objektiv unmöglich geworden ist. Wenn es sich lediglich um ein zeitlich begrenztes Leistungshindernis handelt oder wenn dies noch nicht klar ist, sollte der Lieferant auf alle Fälle leistungsbereit bleiben und dafür die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen treffen. Sollte sich herausstellen, dass die internationalen Handelswege in einem überschaubaren Zeitraum wieder passierbar sind, spricht einiges dafür, dass die Gerichte im Streitfall von einem zeitweiligen Leistungshindernis ausgehen werden, aber nicht von einem Fall höherer Gewalt, der die Leistung objektiv unmöglich gemacht hat. Wenn der Lieferant dann nicht mehr lieferfähig ist oder keine Vorkehrungen für die Lieferung mehr getroffen hat, kann sich ergeben, dass der Abnehmer die Aufhebung des Vertrages wegen Nichtlieferung erklärt und doch noch Schadensersatz fordert.

Rat an den Abnehmer

Als Abnehmer sollte man sich ebenfalls darüber im Klaren sein, dass die Nichtlieferung des Vertragspartners auf höherer Gewalt beruht, die der Lieferant nicht zu vertreten hat. Unter der Geltung des UN-Kaufrechts kann der Abnehmer in dieser Situation möglicherweise die Aufhebung des Vertrages verlangen. Einen Schadensersatzanspruch hat der Abnehmer jedoch nicht. Auch die Erklärung der Vertragsaufhebung sollte nicht unüberlegt erfolgen: Wenn die formellen Voraussetzungen gemäß UN-Kaufrecht für eine Vertragsaufhebung nicht eingehalten werden, bleibt die Abnahmeverpflichtung bestehen obwohl der Abnehmer eventuell gar keine Verwendung mehr für die Lieferung hat.

Der plötzliche Zusammenbruch der internationalen Lieferketten durch die Corona-Pandemie stellt auch das internationale Vertragsrecht vor enorme Herausforderungen. Bevor Unternehmen als Lieferanten oder Abnehmer Schritte unternehmen, die jahrelang bewährte Lieferbeziehungen mit internationalen Vertragspartnern gefährden, sollte man versuchen, entstandene Probleme wirtschaftlich und fair zu lösen. Alle weiteren Schritte, die das Vertragsverhältnis rechtlich beeinflussen, sollten nur aufgrund kompetenten anwaltlichen Rats unternommen werden.

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